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Zukunft des Handels, Teil 2: Vertikale Integration

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retail-part-2 Bingo! Wenn ich Hersteller und Händler in einem bin ... kann das bestens funktionieren, siehe Apple. Was Apple so erfolgreich macht, sind Innovation und vertikale Integration. Ob und was genau wir von diesem hochgelobten Unternehmensmodell lernen können ...

Willkommen bei Teil 2 unserer Serie „Zukunft des Handels“.

Ja, schon wieder Apple

„Schon wieder das Beispiel Apple!“ mag so mancher Leser jetzt denken. Das Geschäftsmodell des Konzerns wird immer wieder als Blaupause vorgeschlagen, wenn es um die Krise des stationären Handels geht. Zu Recht, denn so manches kann man davon lernen. Doch ist Vorsicht geboten: Das Modell ist nur äußerst bedingt übertragbar. Warum es nicht so einfach geht, beleuchten wir am Ende dieses Textes – vorab müssen wir das Geschäftsmodell von Apple noch einmal untersuchen. Auch wenn das an anderer Stelle schon oft getan wurde.

Die New York Times nennt die Apple Stores „the undisputed king, a retail phenomenon renowned for impeccable design, deft service and spectacular revenues.“ Es muss etwas dran sein, denn bei kaum einem anderen Hersteller stehen Kunden zu Produkt-Launches um ganze Häuserblocks Schlange. Auch wenn die Zahlen im ersten Quartal 2013 sanken, was gleich als „Apple-Absturz“ tituliert wurde, ist das Unternehmen immer noch mehr als erfolgreich (wer hat schon Reserven von mehr als hundert Milliarden Dollar auf der Bank?).

Das Modell Apple

Ein integraler Bestandteil des Erfolgs von Apple sind die physischen Stores. Folgende Faktoren werden oft genannt, wenn es darum geht, die erfolgsbringenden Eigenschaften der Läden zu analysieren:

–  Das Interior Design, das die Produkte attraktiv ins Licht rückt,
–  der Fokus auf die begehrten Produkte,
–  Verknappung und 1a-Lagen (im Gegensatz zu den weit verbreiteten Media Märkten zum Beispiel), und
–  cleveres Marketing (man denke nur an die weißen Kopfhörerkabel, die jeder iPod-Nutzer als Markenzeichen und Werbung vor sich her trägt).

Aber die eigentlichen Erfolgsfaktoren liegen unter der Oberfläche. Die Apple Store Triple Convergence (ASTC) beschreibt, wie eine Atmosphäre geschaffen wird, die es dem Konsumenten erlaubt, die Produkte überzeugend zu erleben – und die ihn automatisch in die Community der Apple User hinein zieht. Die drei Elemente der ASTC:

a. Die Ästhetik lenkt das Erlebnis
Interaktion und Auseinandersetzung mit dem Produkt ist das Ziel. Ein Beispiel: Jeden Morgen, bevor sie ihre Stores öffnen, sollen die Mitarbeiter die Bildschirme der Laptops in einem bestimmten Winkel ausrichten. So kann anfangs kein Kunde etwas auf dem Bildschirm erkennen und ist gezwungen, ihn zu justieren, das Produkt anzufassen und sich damit auseinanderzusetzen.

b. Apple-Spezialisten sorgen für Mehrwert
Die Angestellten sind selbst Apple-Fans und suggerieren als Experten nicht nur Vertrauen, sondern agieren gleichzeitig als überzeugte Markenbotschafter.

c. Workshops und Training machen die einzigartigen, aber nicht immer auf den ersten Blick sichtbaren Eigenschaften des Produkts erleb- und greifbar. Dazu verkauft man bei Apple Träume: „Wenn du dieses Produkt kaufst, dann wird dein Leben wunderbar sein, du kannst alles werden, vom DJ bis zum Regisseur.“

Vorteile der vertikalen Integration

Apple ist zudem vertikal integriert. Das heißt, Apple kontrolliert jedes Glied der Wertschöpfungskette: vom Design über die Herstellung bis zum Verkauf – oder besser gesagt, kontrolliert das gesamte Verkaufserlebnis, on- wie offline.

Das Ergebnis? Erstens erlange ich so die komplette und uneingeschränkte Kontrolle über meine Marke und das Einkaufserlebnis, vor allem aber auch über den Preis. Zweitens gleiche ich die Nachteile des physischen Handels mit den Vorteilen des Online-Geschäfts aus – und umgekehrt. Meine Kunden können sich im Geschäft in aller Ruhe beraten lassen und entscheiden, ob sie das Produkt gleich mitnehmen, weil sie es eilig haben, oder sich bequem nach Hause liefern lassen. Sollte ein Produkt im Laden vergriffen sein, kann der Verkäufer lässig auf den Online-Shop verweisen.

Und drittens, vielleicht der entscheidende Vorteil: Der Umsatz geht an mich, egal, wo ein Produkt gekauft wird (on- oder offline). Showrooming (der Kunde begutachtet ein Produkt im Laden, vergleicht aber online Preise und bestellt dann nach Hause), von den meisten Einzelhändlern gefürchtet, wird bei Apple zum Konzept erhoben.

Was kann ich lernen?

Steve Jobs hat gesagt: „Innovation unterscheidet den, der führt, von dem, der folgt.“ Und in der Tat, ein weiterer Baustein des Erfolgsmodells Apple sind seine Innovationen, die ganze Branchen verändern. Auch Händler müssen sich immer wieder neue Instrumente einfallen lassen, um Kunden an sich zu binden. Aber das ist eigentlich keine Neuigkeit – sondern Grundwissen BWL.

Yukari Iwatani Kane und Ian Sherr haben für das Wall Street Journal vertrauliche Trainingsunterlagen, einen Mitschnitt eines Store Meetings und Interviews mit Mitarbeitern von Apple ausgewertet. Das Hauptprinzip, das sie dabei erkennen, dürfte vielen Managern gegen den Strich und gegen die eigene Intuition gehen:

Hör auf, an deinen Umsatz zu denken, stell zuerst deine Kunden zufrieden.

Bei Apple glaubt man, dass der Umsatz automatisch folgt, wenn die Kunden zufrieden sind. Dementsprechend werden Mitarbeiter bei Apple nicht dazu angehalten, zu verkaufen, sondern dazu, den Kunden Lösungen für deren Bedürfnisse anzubieten. Forderungen wie diese lesen wir immer wieder in allen Medien, die sich um Marketing und Sales drehen. Trotzdem ist in den meisten Unternehmen immer noch das Streben nach Umsatz und Gewinn die oberste Maxime (mehr dazu hier).

Warum das Modell nur bedingt übertragbar ist

Nicht jedes Business kann vertikal integriert sein, und als Händler bin ich dem Preiswettbewerb ausgesetzt, ob im Netz oder im Laden. Bezüglich Produktinnovationen bin ich von meinen Zulieferern abhängig. Und ob sich die drei Elemente des ASTC je in einem Media Markt durchsetzen lassen werden, wage ich jetzt einfach mal zu bezweifeln.

Bei McKinsey warnt man davor, Best-Practice-Beispielen blind zu folgen. Der Schlüssel liegt im Kontext. Manager, die Patentrezepte von außergewöhnlichen Unternehmen ableiten wollten, setzten ihre eigenen Unternehmen dem Risiko operativer und strategischer Fehltritte aus. Vor allem werden, wenn alle dem gleichen Beispiel folgen, irgendwann alle gleich daherkommen und keiner wird mehr einen Wettbewerbsvorteil haben. Dass die Kopie nie an das Original heranreicht, sehen wir an den Shops von Windows, die irgendwie wie Apple Stores aussehen, aber nicht halb so cool sind.

So genannte disruptive Innovationen, die dem Erfolg von Apple zu Grunde liegen, sind extrem selten und nicht unbedingt planbar. Von 1999 bis 2008 war Apple das einzige etablierte Unternehmen, das neue Märkte durch diese plötzlichen, irritierenden Innovationen geschaffen hat (mehr dazu bei Forbes). Und was passiert, wenn die neuen Ideen ausbleiben? Wie lange kann ein Unternehmen wie Apple seinen Erfolg auf disruptiven Innovationen aufbauen? Der Wettbewerb ist dem Unternehmen, das in vielen Märkten immer noch Marktführer ist, auf der Spur. Und vielen Konsumenten ist der Status, den man für den Preis eines Apple-Produkts mitkauft, egal.

Gerade läuft eine Kindle-Kampagne im TV, die das iPad Retina mit dem Kindle Fire HD 8.9 vergleicht: ähnliches Aussehen, ähnliche Eigenschaften, beim Kindle aber um 230 Euro preiswerter. Auch das Samsung Galaxy Smartphone sieht man in der Berliner U-Bahn inzwischen fast genau so oft wie ein iPhone. Die Verkäufe von iPhone und iPad drohen in den gesättigten Märkten zurückzugehen. Apple hat bereits die Bestellungen von Bauteilen für das iPhone 5 gesenkt, weil die Nachfrage deutlich geringer ist als erwartet.

Wahre Exzellenz

Sie wollen so erfolgreich sein wie Apple? Ein konsequenter Versuch wäre, ordentlich zu innovieren und all Ihre Zulieferer und Händler aufzukaufen, um ihr Business vertikal zu integrieren. Wenn Ihnen das so schnell nicht gelingt (und niemandem gelingt das „so schnell“), dann ist es vielleicht etwas anderes, was wir vom Erfolg von Apple lernen sollen: Wahre Exzellenz erfordert Umdenken auf allen Ebenen, vom Einkäufer und Verkäufer bis zum CEO. Zufriedene Kunden, deren Bedürfnisse befriedigt und Probleme gelöst sind, sind das Ziel, nicht nur der Gewinn. Seine Stores einfach im gleichen Look auszustatten wie Apple, wird nicht reichen.

Wie dieses Umdenken funktioniert und was Sie – ganz praktisch – tun können, um im Handelsumfeld des 21. Jahrhunderts zu bestehen, erfahren Sie in den nächsten Teilen unserer Serie. Für den Hintergrund lesen Sie bitte auch Teil 1 zur Zukunft des Handels (Stationärer Handel versus E-Commerce).

Illustration: Paul Woods