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Eine Legende zum Frühstück

LarryCrowdklein

Seit rund zwei Jahren gibt es bei uns jeden Donnerstag um 9:30 „Brainfood“: einen kurzen Vortrag von und für uns intern. Kollegen erzählen aus laufenden Projekten, einem Interessensgebiet oder anlassbezogen zum Beispiel über die Historie der Potsdamer Straße, als wir  hierhergezogen sind. Gelegentlich haben wir uns für Brainfood schon Freunde und Bekannte mit guten Ideen, Projekten oder Angeboten eingeladen; meist Fachleute aus Teilgebieten, mit denen wir zu tun haben.

Brainfood, extended

Brainfood findet ganz leger bei uns in der Kantine statt, bei Kaffee und Croissants. Nun hat Edenspiekermann die Reihe ergänzt um ein „Breakfast“-Event im Turm. Die Idee: Wir laden einen prominenten Redner und dazu exklusive Gäste von außen ein, um uns gemeinsam den Vortrag anzuhören, Fragen zu stellen, uns auszutauschen. „Breakfast with Larry“ war der Auftakt. In ihrem Beitrag „Breakfast with Larry Tesler“ gibt Ally Long eine Zusammenfassung der Inhalte auf Englisch.

Der Mann ist eine lebende Legende. Spannenderweise kannte ihn dennoch kaum einer von uns. Obwohl wir tagtäglich mit Ergebnissen seiner Arbeit zu tun haben: Larry Tesler macht Software, bzw. macht Software nutzerfreundlich – und das seit 1962. Er war bei Apple beteiligt an Lisa, QuickTime, AppleScript, HyperCard und Newton; er war bei Amazon und Yahoo! Seit 2009 ist Larry Tesler selbstständiger Berater. Und nun also bei uns im ESPI-Turm.

Bessere Daten als Demografie

In seinem Vortrag beleuchtet Tesler die Relevanz von Inhalten und Suchergebissen. Dabei unterscheidet er zwischen persönlichen und nicht persönlichen Inhalten (die beispielsweise ein Online-Redakteur nach eigenem Gutdünken zusammenstellt).  In völlig unaufgeregtem Gestus erzählt er, dass – die meisten kennen das in Form von Kaufvorschlägen, die man zum Beispiel in Amazon ungefragt erhält – die eigenen Suchergebnisse auch von denen anderer Leute abhängen. Und dass unsere Suchen im Internet mehr über uns aussagen, uns besser klassifizierbar machen, als Faktoren wie Alter, Geschlecht oder Beruf: „Some actions predict better than some demographics“. Tesler benennt Anbieter, die das mehr oder weniger „gut“ machen: Amazon gut, Facebook schlecht (weil mögliche „Freunde“ vorgeschlagen werden, von denen man nie gehört hat), Foursquare habe einen „pretty good filter“.

Was tun?

Daraus abgeleitet empfiehlt Larry Tesler, für oder nach Relevanz zu gestalten („designing for relevance“). Man solle beobachten, recherchieren, Ideen finden, mit Prototypen arbeiten, sich austauschen („observe, survey, ideate, prototype, iterate“), die klassischen Service-Design-Arbeitsschritte einhalten also. Man solle sich immer wieder fragen: In welcher Hinsicht ist diese Gestaltung für den Nutzer relevant? („How does this design bring relevance to the user?“). Außerdem seien Personalisierung, aber auch „Privacy and Anonymity“ wichtig – ein Widerspruch? Bei Amazon dürfen die Mitarbeiter nicht mal gegenseitig ihre Accounts und Einkäufe kennen, geschweige denn Kundendaten einsehen. Wer das tut, fliegt raus.

Ende offen

Lebhaft wird es in der anschließenden Diskussion. Web Developer Lukas Hodel steigt unverblümt ein mit der Frage „Can it be dangerous?“ Er bezieht sich darauf, dass Suchfilter uns ggf. nur das präsentieren, was wir sehen möchten (oder glauben, sehen zu wollen), „and in the end you might miss things and the view is narrowed down“. Wird unser Blick durch allzu perfekt auf uns zugeschnittene Suchalgorhythmen getrübt, gar eingeschränkt? Tesler im weiteren Verlauf: „Nobody has made any improvements lately in their search functions“.

Er räumt ein, das sei in der Tat ein Thema, das viele Unternehmen beschäftige und für das es keine gute Lösung gibt („still an issue that needs more work“). Berechtigte Bedenken also, die Erik Spiekermann betont – und den schlichten Wunsch danach, überrascht zu werden: „When I read a newspapper I find things I did not look for, but I may like – and become interested in.“ Jürgen Siebert erinnert an die Verantwortung des Lesers bzw. Nutzers gerade auch bei Social Media; er zum Beispiel nähme bewusst Leute mit kontroversen Haltungen in seine Twitter-Timeline und setze sich mit ihnen auseinander, überhaupt sei Dialog extrem wichtig. Larry Tesler: „I like this strategy“.

Fluch oder Segen?

Robert Stulle bringt Leichtigkeit ins Spiel: „Is it great to life in this age?“ Tesler wendet die Frage ins Philosophische, es käme darauf an: Wenn dank moderner Technologien schnelle Hilfe im Notfall möglich ist, sei man sicher froh, wenn dagegen jemand einem die Bankdaten klaut und mit dem Geld abhaut, wohl eher nicht.

Überhaupt läuft Edenspiekermann zu Hochform auf: Erik fragt, warum Amazon die hässlichste Website der Welt hat, Ally Long, ob Amazon wohl „the worst place to work for a designer“ ist. Larry Tesler seelenruhig: „It’s fine if it’s ugly, it needs to work.“ Dem könnte man widersprechen. Vehement. Hätte Amazon keine Alleinstellung sondern Konkurrenz, könnte sich das Unternehmen hässliches Design (und eine solche Haltung) nicht leisten. Auf die Frage von Harry Keller, wie mit der Hässlichkeit und Notwendigkeit von Werbung auf Webseiten umzugehen sei, sagt Tesler schlicht „I don’t know the answer to this“. 

Steven Cook, der Larry Tesler für unser Breakfast (und einen kleinen internen Workshop) gewinnen konnte, fragt zum Abschluss, wie die Zusammenarbeit mit Steve Jobs gewesen sei. Tesler steigt salomonisch ein, es gäbe „different ways to critizise people“ ... „he often went over the line“. Er selbst habe keine Probleme mit Steve gehabt, weil er kein besonderes Lob oder Dankbarkeit erwartet habe für seine Arbeit („Steve would immediatley adopt an idea and forget were it came from“). 

Ja, es bleiben Fragen offen und das ist auch gut so. Wir alle wissen: Es gibt viel zu tun und unsere Verantwortung (als Nutzer wie als Gestalter) wird nicht eben weniger, nur weil uns intelligente Software viel Arbeit abnimmt – im Gegenteil.

LarryCrowdmittel

Foto: Edenspiekermann