Article

ESPI on site: „A User Experience Designer“ auf der TYPO 2012

airside 0

Nat Hunter eröffnet ihren Vortrag „Wie ist das passiert?“ („How did this happen?“) mit der Selbstbeschreibung „I am a user experience designer“. Huch. Das machen die in England auch? Und nennen es genauso wie wir? Hunter erzählt, dass sie ihre Agentur „Airside“ vor kurzem geschlossen hat – huch! – und zeigt zwei Fotos ihrer beiden Partner und sich, damals und heute: 1998–2012. Auf beiden Aufnahmen sehen wir drei fröhliche Menschen, die gleichen Menschen, kaum verändert, aus der Vogelperspektive. Der einzige Unterschied nach 14 Jahren sei, „dass wir gelernt haben, nicht mehr so schreckliche Sandalen zu tragen“. Und trotzdem sei heute alles anders als damals.

airside-ends-image1airside-ends-image2Fred Deakin, Alex Maclean and Nat Hunter zu den Anfängen von Airside und heute.

Zuerst war Nat Hunter Grafik-Designerin, CD-Hüllen-Gestalterin, dann „Interaction Designer“. Davon war sie begeistert, es war ganz ihr Ding: „to provoke – and get a reaction. I was in heaven“. Die Gestaltung von Websites als neues Aufgabenfeld ergab sich fast automatisch, und Hunter erkannte schnell, dass es hier und heute um „organizational change“ geht – und nicht nur um Design. „Form and function“ interessieren sie, und damit mehr das Lösen von Problemen als „the style end“. Speziell bei digitalen Projekten sieht sie iterative Prozesse notwendiger- und erfreulicherweise als Teil der Entstehung von guter Gestaltung.

Von hier aus geht sie weiter zu der Frage, ob und wie Nachhaltigkeit und Gestaltung zusammenhängen. Sehr sachlich stellt Hunter fest, dass die meisten Designer ihre Aufgabe nicht im Bereich von „behavioural change“ sehen. Warum und wie Bewusstsein verändern? Kaum jemanden interessiert das tatsächlich. Dabei können Erfahrungen Verhalten ändern. Manchmal genügt ein einziges Schlüsselerlebnis, wie drei allein verbrachter Tage in beeindruckender Landschaft, um den Antrieb in Gang zu setzen, dass jemand Nationalparks und Naturschutzgebiete gründet.

Ebenso kann jemand, können Gestalter getrieben sein, zum Beispiel den nachhaltigsten Jahresbericht ever zu gestalten und zu publizieren.

Diese Feststellung wirft (Überlegung der Autorin) ein interessantes neues Licht auf den Begriff „(user) experience designer“. Den „user“ darin wegzulassen, erweitert die Idee: Wir gestalten Erfahrungen. Ob Erfahrungen von „Nutzern“, „Verbrauchern“, „Endkunden“ – ein Wort schlimmer als das andere – ist dabei egal. Wir gestalten Erfahrungen von Menschen, anderer Menschen, aufgrund, logischerweise, unserer eigenen Erfahrungen. Hier wird es sehr grundsätzlich. Und sehr aufregend. 

Nat%20HunterFoto: Luc(as) de Groot

Hunter erzählt von dem Auftrag „a Facebook for farmers“: einem Projekt, damit Landwirte in aller Welt Wissen austauschen und sich informieren können. Das Problem war natürlich die mangelhafte technische Ausstattung in den Weiten Afrikas. Oder, positiv gewendet: das einfachste Nokia-Handy war kleinster gemeinsamer technischer Nenner, also Ausgangsbasis. Und ebenso die Tatsache, dass und wie viele Menschen schlicht keine Verbindung zur Außenwelt, ja nicht mal zum nächsten Dorf haben. „Extremely isolated people“ sollten verbunden werden, dabei ging es bei dem Projekt. Was für eine schöne Aufgabe. Nicht anders zu lösen, als dass sich Gestalter in die Lebenswelten der (später) Beteiligten hineinversetzen.

Das wundervolle Ergebnis „WeFarm“ überwindet die Grenzen nicht nur von Dorf zu Dorf, sondern von Sprachen, Ländern und Kontinenten. Kaffee- und Kakaobauern in Südamerika und Afrika können sich austauschen und gegenseitig helfen. Durch neutral gehaltene Nutzernamen gelingt „creating trust between strangers“ – WeFarm respektiert Privatsphären, akzeptiert alle Beteiligten als gleichberechtigt, unabhängig von ihrem Wohnort, ihrer Hautfarbe, ihrem Geschlecht oder Alter, ihrer religiösen oder staatlichen Zugehörigkeit. 

Hunter fasst (mit weiteren tollen Projektbeispielen) zusammen: Nach Jahren des „traditionellen“ Designs stellen wir heute fest, dass wir via Design (im Wortsinn von  Gestaltung) wirklich die Welt – und unsere Erfahrungen, die Erfahrung anderer Menschen (Einschübe der Autorin) – verändern können.

Airside

www.wefarm.info