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ESPI on site: Nadine Chahine – der Nahe Osten auf der TYPO 2012

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Die libanesische Schrift-Designerin Nadine Chahine studierte Schrift-Design an der Universität Reading (UK). Heute arbeitet sie in Deutschland bei Linotype als Expertin für arabische Schriftprojekte. In ihrem Vortrag „Dialog mit dem Nahen Osten“ erklärte sie, worauf es ihr beim Gestalten arabischer Schrift ankommt.

chahine3Foto: Philip Lammert

Chahine erklärt, dass ein Schriftsystem seine Umwelt repräsentiert und somit für seine Kultur und Politik spricht. In ihrem Vortrag das Thema der arabischen Schrift einfach von der grafischen Seite – oder die arabischen Fonts von der technischen Seite her zu erklären – wäre natürlich auch beeindruckend gewesen, hätte aber ein oberflächliches Niveau kaum überschreiten können. Um die Vielseitigkeit der Schrift und ihrer Anwendungen überhaupt verstehen zu können, benötige man kulturelles und politisches Hintergrundwissen, gibt sie zu verstehen. Um das TYPO-Publikum also mit arabischer Schrift vertraut zu machen, holt sie bewusst weit aus und zeigt sich als typografische Botschafterin der arabischen Welt.

Man müsse die Komplexität des ganzen verstehen. Selbst ganz begeistert erzählt Chahine, wie spannend es sei, in die Vielschichtigkeit der arabischen Kulturen einzutauchen. Verschiedene Beispiele zeigen dem Publikum, wie wenig wahr ist an Klischees über Wüsten und Kamele. Dass für diese falsche Wahrnehmung in anderen Teilen der Welt die Medien stark verantwortlich sind, hat sie selbst schon erfahren müssen. Ihre Bilder und Beispiele sollen das Bild also korrigieren. Und so gibt sie uns (inter-)kulturelle Einsichten in den Jemen, Amman, Beirut, Dubai und andere Länder im Nahen Osten, die für uns vielleicht leicht verwechselbar sind, doch untereinander große Unterschiede aufweisen.

Während Chahine bemerkt selbst, wie sehr sie in dem Thema aufging, und vertröstet sie das Publikum mit dem Hinweis, in ihrem Vortrag ginge es ganz gewiss um Schrift – man würde auch gleich noch welche zu sehen bekommen. Derweil geht sie nicht nur auf die visuellen Unterschiede ein, sondern auch auf wirtschaftliche und politische.

chahine4Foto: Philip Lammert

chahine2Foto: Philip Lammert

Nach dieser Einleitung, die sicher keine kurze ist, dem Thema aber gerecht wird, zeigt Chahine, auf welche verschiedenen Weisen man diese Komplexität grafisch umsetzen kann. Dass es nicht die eine Lösung für alle Anwendungen gibt, macht sie sehr deutlich anhand der von ihr gestalteten Schriftarten. Es gibt zwei Formen der arabischen Schrift: Kufi und Nasch, wobei Kufi die weniger komplexe ist. Chahine gestaltet Hybriden, die sich gestalterisch je nach Anwendungsfeld unterscheiden und  sich immer in der Mitte der beiden Formsysteme bewegen. Die Arbeit ihres Ph.D. stellt die komplexeste Form der arabischen Schrift dar, die man aber wegen ihrer kalligrafischen Züge nicht für alles einsetzen kann. Beim Design der arabischen Variante einer lateinischen Schrift mit geometrischen Formen greift man eher auf die Kufi zurück. Eindrucksvoll zeigt Nadine Chahine, worauf es ankommt, damit arabische Schrift optisch und inhaltlich zur lateinischen passt. Ergebnisse ihres Zusammenarbeitens mit Adrian Frutiger und Hermann Zapf verdeutlichen das.

Als Chahine beauftragt wurde, für eine arabische Zeitung eine Schrift zu gestalten, schaute sie zuerst auf die Leser und gestaltete danach eine entsprechende Schriftform als „Stimme der Zeitung“. Inspirieren sollte sie der libanesische Spruch „Der Berg, der nicht vom Wind erschüttern soll“, da die Zeitung standhalten sollte, was auch immer passieren würde. Sie gestaltete, basierend auf der einfachsten Form, eine stabile, kompakte Schrift mit offenen Punzen.

Nadine Chahine fasst zusammen, dass es beim Gestalten einer arabischen Schrift niemals nur eine Lösung gibt und dass man daher in Dialog treten muss um zu einem passenden Ergebnis zu kommen. Im Dialog sollten auch die Schriftarten stehen, wenn man beide Schriftsysteme typografisch kombiniert. Eine arabische Schrift mit Serien oder hoher x-Höhe oder eine lateinische mit verbundenen Buchstaben mache da keinen Sinn.

Fazit: immer im Dialog bleiben! Chahine gab spannende interkulturelle Einblicke in eine fremde Welt – mit ähnlichen gestalterischen Fragen, wie wir sie uns täglich stellen.