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We had @NeinQuarterly for Brainfood. And we liked it.

NQ Titel

We had Eric Jarosinski aka @NeinQuarterly for Brainfood at Edenspiekermann. Prof. Jarosinski was recognized with the School of Arts and Sciences Dean’s Award for Distinguished Teaching, has taught courses on Marx, Nietzsche, Kafka, Thomas Mann, literary theory, the Frankfurt School, German Modernism, modern German theater, postwar German literature, and contemporary German consumer culture, and is planning a book (“Cellophane Modernity”) on metaphors of transparency in modern German culture. Beyond his academic activities, he writes the Twitter feed @NeinQuarterly, a satirical “Compendium of Utopian Negation”. His aphorisms focus on European literature and popular culture, critical theory, and the German language.

His work with social media was featured on TV (ZDF-Info) and has been recognized as an innovative form of outreach in the humanities. At our Brainfood session, Prof. Jarosinski spoke “in fluent & idiomatic German” (Erik Spiekermann on Twitter) about his extreme experiences with his alter ego @NeinQuarterly and the media. Please scroll down for links (some in English), and enjoy our German article, if you can.

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Intellektueller auf Abwegen

Eric Jarosinski sorgt seit einiger Zeit als @NeinQuarterly für Furore auf Twitter – und für eine intensivierte Begeisterung für die deutsche Sprache. Nun will ihn „halb Mitte“ kennenlernen, so die Presse. Der Germanist und Kulturwissenschaftler unterrichtet als Professor an der School of Arts and Sciences der University of Pennsylvania und befindet sich auf einer von ihm selbst ausgerufenen, groß angekündigten #FailedIntellectualGoodwillTour – und weiß selbst nicht so ganz, wie ihm dabei geschieht. Man könnte sagen, sein Alter ego @NeinQuarterly wird via Twitter gerade zur Marke.

Adorno revisited

Die Figur ist eng angelehnt an Theodor W. Adorno (einer von Jarosinskis philosophischen Lieblingen) und äußert sich skeptisch-klug zu interkulturellen Phänomenen. Aktuell sind es feinsinnige Rückschlüsse, die sich aus alltäglichen Beobachtungen auf den Straßen Berlins ergeben: von den Wahlkampfplakaten bis zum Gurkentopf („Erzähl mir von Liebe, Gurkentopf“) bleibt kaum etwas unkommentiert.

NQ Twitter-Account

Apropos Liebe

Um „liebevolle Kritik“ ginge es ihm, so Jarosinski zu Beginn seines Vortrags bei Edenspiekermann (selten war ein „Brainfood“ so gut besucht). Das sei offenbar „eine Haltung, die ankommt“, mutmaßt er in aller Vorsicht angesichts der übergroßen Resonanz, um nicht zu sagen: Gegenliebe, auf die NeinQuarterly in Deutschland trotz (oder wegen?) seines vermeintlich misanthropischen Weltbildes stößt.

Dank ausgiebiger (und zunächst unintentionaler) Vorgespräche haben wir bereits herausgefiltert, was er uns im Schnelldurchlauf und mit einer Flut an Bildern vermittelt: dass sein wissenschaftliches Kernthema, das Phänomen bzw. die Allgegenwart der Transparenz sowie der sprachliche Umgang damit, von der politischen Kultur und der Architektur über, unter anderem, die Kommunikation zwischen Mann und Frau bis hin zu so ziemlich jedem Bereich heutzutage reicht – und vor allem auch die Unternehmenskommunikation nicht nur von Banken und Versicherungen prägt: „Glas als Projektionsfläche“, Transparenz als Zauberwort, als Gleichsetzung zu Demokratie – und Garant für Glaubwürdigkeit.

NQ Reichstagskuppel Die Reichstagskuppel als Sinnbild transparenter Architektur und entsprechender sprachlicher Symbole.

NQ NikeBewachung Das Haus des Faschismus (Casa del Fascio) in Como: Auch hier ist die metaphorische Wirkung klar kalkuliert

Ist transparent wirklich transparent?

Spannend ist die grundsätzliche Frage, ob Transparenz die Zugänglichkeit jeweils aller vorhandenen Informationen meint, oder das Filtern von Informationen, um Vorgänge tatsächlich „transparent“ zu machen, „um verstanden zu werden“. Bei seiner „kritischen Auseinandersetzung mit Transparenz“ stellt Jarosinski fest, „interessant ist es in der Tat, wieviel Gedrucktes drumherum publiziert wird“, um die jeweilige Architektur. Weil es – bei aller Transparenz – doch so viel Erklärungsbedarf gibt?

Eine schöne Analogie: Das Adorno-Denkmal in Frankfurt am Main, ein transparenter (sic) Kasten mit Adornos Schreibtisch und Stuhl, wird durch Beschädigung von außen immer undurchsichtiger. Gedeutet wurde dies, so Jarosinski, als „radikaler Versuch, eine Distanz zu überwinden“. Ein anderes, ähnlich radikal-absurdes Beispiel: die transparente Shop-Architektur von Nike, die dazu führt, dass bei Protestaktionen massiver Polizeieinsatz notwendig wurde – und die Polizisten in einer Art (völlig undurchsichtiger) „Schutzarchitektur“ stecken mussten. 

NQ NikeBewachung

Meister der kurzen Form

Jarosinski ist ein feiner Beobachter; er zieht und vermittelt seine Schlüsse ganz schnell und direkt. Vielleicht macht ihn das zum Meister der kurzen Form, wie er für sich herausgefunden hat. Das lang geplante Buch wird wohl in Planung bleiben … oder in Gestalt vieler kleiner Gedankensplitter seinen Weg an die Öffentlichkeit finden – vielleicht sogar, parallel zum Twitter-Account, in gedruckter Form (wenn Jarosinski, er formuliert da durchaus Unsicherheit, entsprechenden Anfragen deutscher Zeitungen folgt).

Sprachbilder, Menschenbilder, beyond Klischees

Rein sprachlich sind seine Strategien ebenso einfach wie klassisch. Er setzt sie in seltener Perfektion und Konsequenz um: Der Tenor stimmt und passt zum Absender; das Feld der Themen, Thesen und Belege positionieren ihn als Fachmann auf seinen Gebieten; Kernbegriffe sorgen für Wiedererkennbarkeit; Wiederholungen und Abwandlungen bestimmter Sprachbilder, Rhythmen und Zitate (er nennt sie „Meme“) für Kontinuität und Überraschungseffekte zugleich. Auf Englisch und Deutsch, natürlich. Allein schon wegen dem Ü.

Und doch zählen Inhalte, nicht die Form. Letztlich geht es Eric Jarosinski um die Beseitigung interkultureller Klischees. Klüger und charmanter hat das selten jemand versucht – ernsthafter auch nicht.

Der Tagesspiegel über Jarosinkis Vortrag bei uns: Ich bin ein Berlinerd.
Weitere Beiträge über Prof. Jarosinski und @NeinQuarterly:
–  Neu in der Süddeutschen Zeitung: Nein-und-nochmals-nein
–  First as tragedy, then as farce, then as interview on Strollology
–  German Shorty Award (honoring the best in social media)
–  Erster Beitrag in der SZ:  I love #Ü – Deutsch als Twitter-Trend
–  Profil als Professor an der Universität von Pennsylvania

Folgen Sie @NeinQuarterly auf Twitter. Und @sk_txet natürlich auch.