Article

Zukunft des Handels, Teil 3: Kooperation

retail-3

retail-3

Im zweiten Teil unserer Serie „Zukunft des Handels“ hatten wir beleuchtet, warum vertikale Anbieter wie Apple so erfolgreich sind. Gleichzeitig wurde klar, dass nicht jeder Hersteller oder Händler vertikal werden kann. Allerdings kann man sich diesem Erfolg annähern – darum geht es im dritten Teil unserer Serie.

Was vertikale Konkurrenz bedeutet, das wissen die Hersteller und Händler in der Textilbranche schon, seit ihnen H&M, Zara und nun auch Primark die Hölle heiß machen. Vor allem deren höhere Rohertragsmargen und die kurzen Leadtimes (Lieferzeiten) bedeuten in der schnellen Mode von heute klare Wettbewerbsvorteile.

„In der idealen Welt des Händlers kann er die Kundenwünsche zu 100 Prozent erfüllen. Vertikale kommen dem sehr nahe, da sie permanent die Erkenntnisse von der Fläche umsetzen und schnell reagieren können“, erzählt Beraterin Kerstin Lehmann von OC&C zum Auftakt eines Partnerschaftskongresses, der vom Fachmagazin Textilwirtschaft und anderen ins Leben gerufen wurde.

Das Zauberwort heißt Kooperation

Damit „Nicht-Vertikale“ diesem Ideal ebenfalls ein gutes Stück näher kommen können, gilt es, den Konflikt zwischen Hersteller und Handel aufzulösen. Wer heute loyale Kunden möchte, der muss wissen, welche ihre Bedürfnisse sind – und diese möglichst umgehend befriedigen. Das erfordert einen permanenten Datenaustausch zwischen Hersteller und Händler, sprich: Kooperation.

Am Beispiel der Modebranche lässt sich gut erklären, warum die traditionelle Form der Order und der Hersteller-Händler-Beziehung ausgedient hat: Der Lieferant bietet alle sechs Monate eine Kollektion an, aus der der Händler das Sortiment für seinen Laden wählt. Die Ware wird dann wiederum drei bis sechs Monate später geliefert und in die Läden gehängt. Erst wenn abverkauft wurde, kann der Händler dem Lieferanten Feedback geben, welche Artikel gut verkauft wurden und welche nicht: also in der Regel erst zur nächsten Orderrunde und unter Umständen Monate später.

Zum Vergleich: Vertikale Anbieter wie Zara geben heute alle vier Wochen neue Kollektionen in ihre Läden. Über EDI-Systeme wird in Echtzeit an die Zentrale rückgemeldet, was sich gut verkauft und was nicht und bei Bedarf nachbestückt. Es liegt auf der Hand, dass das klassische System heute seine Probleme mit sich bringt.

Wie man Kunden verliert – und gewinnt

Nicht nur in der Mode verlangen die Kunden heute das aktuellste Sortiment bei lückenloser Verfügbarkeit, auch alle anderen Branchen unterliegen schnelleren Rhythmen. Wer nicht das richtige Produkt zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort verfügbar hat, dürfte die Abwanderung seiner Kunden zu spüren bekommen – vor allem ins Netz, denn dort wird sich bei fast vollkommener Transparenz schon ein Händler finden, der das gewünschte Produkt auf Lager hat.

Es gibt allerdings Beispiele, die zeigen, dass Kunden immer noch gerne im stationären Handel einkaufen. Thomas Ramge spürt in brandeins dem Erfolg eines Einkaufszentrums im Norden von Deutschland nach. In Posthausen bei Bremen steht Dodenhof mit 125.000 Quadratmetern Verkaufsfläche. Auf dem flachen Land läge es eigentlich nahe, dass die Konsumenten auf den Online-Handel umsteigen und sich die Mühe sparen, lange Distanzen selbst zu überwinden, um selbst einkaufen zu gehen. Warum Dodenhof trotzdem so erfolgreich ist? Weil man dort seine Kunden kennt und sich an seinen Wünschen orientiert.

Das Einkaufszentrum hat sich in über 100 Jahren aus einem Tante-Emma-Laden entwickelt. 2002 hat man dort eine Kundenkarte eingeführt. Ramge berichtet: „Seitdem kennt man in der Mega-Shopping-Mall die Karteninhaber fast so gut wie einst Hermann Dodenhof seine Kunden im Krämerladen. ,Die gute Karte für gute Freunde‘ von Dodenhof gilt heute in Fachkreisen als beispielhaft für gelungene Kundenbindung im Handel. Rund 90 Prozent der etwa 480.000 Besitzer nutzen sie regelmäßig.“ Ein bemerkenswerter Wert.

Kundenkarte 2.0

Bei Dodenhof nutze man die Daten der Kunden so genau für Mailings oder Infos per App, dass bis zu jeder fünfte Angesprochene ins Zentrum komme und kaufe. Ein sensationeller Response. „Über alle auf der Basis von 165 Millionen Transaktionsdaten optimierten Werbebriefe hinweg erzielt Sperl (Marketingchef bei Dodenhof, Anm. des Autors, zitiert nach brandeins) nach eigenen Angaben eine Erfolgsquote von acht Prozent. Die Konkurrenz wäre oft bereits mit einem Zehntel dieser Quote zufrieden. Sperl betont, dass jede Aktion ,immer und zu hundert Prozent vom Kunden her gedacht ist‘. Soll heißen: Man preist keine Produkte an, nur weil sie eine hohe Marge garantieren oder man zu viele davon auf Lager hat. Die Analysemaschine hinter der hauseigenen Transaktionsdatenbank ist ausschließlich auf die Frage programmiert: Was könnte der Kunde am besten gebrauchen?“

Nun muss oder kann nicht jeder Händler ein Kundenkartenprogramm bei sich einführen, aber Dodenhof beweist, wie wichtig es ist, seine Kunden zu kennen und ihnen vor allem das zu liefern, was sie wollen. In der digitalen Welt nennt man das „user first“. Den Begriff werden wir noch häufiger hören. Er beschreibt im Prinzip, dass nicht mehr Ingenieure und Programmierer bestimmen, welche Produkte angeboten werden, sondern die Konsumenten selbst – durch ihr Verhalten.

In Zukunft wird es auch für kleinere Händler möglich sein, Kundendaten zu erfassen – wenn wir anfangen, mit unseren Smartphones zu bezahlen. In Google Wallet zum Beispiel lassen sich komfortabel Bonusprogramme integrieren; Google könnte auch die Auswertung der Kundendaten übernehmen. (Ob das aus Datenschutzsicht aktuell allerdings sinnvoll ist, steht auf einem anderen Blatt.)

Auch Warenwirtschaftssysteme gibt es inzwischen für kleine Unternehmen. Das iPad liefert die vergleichsweise preiswerte Hardware-Lösung – und mit Anwendungen wie Sumall gewinnen die Kleinen inzwischen so aufschlussreiche Daten wie die Großen: Sind meine Facebook-Fans treu? Werden meine Newsletter tatsächlich gelesen? Welcher Konsumententyp kauft welche meiner Produkte?

Wer als Händler die so gewonnenen Daten nun seinen Lieferanten zur Verfügung stellt, kommt nahe an das System der Vertikalen heran. Lieferanten und Händler, die gemeinsam ihre Lieferketten (Supply Chain) abstimmen, werden in Zukunft klare Wettbewerbsvorteile haben. Im Fokus stehen dabei die gemeinsame Nachfrageplanung und Verbesserung der Warenverfügbarkeit sowie der Austausch von Planungs-, Bestands- und Abverkaufsdaten, der möglichst in Echtzeit erfolgen soll (angelehnt an den Artikel „Supply Chain – gemeinsam planen, doppelt profitieren“):

– So werden die Bestände optimiert. Regallücken werden vermieden, gleichzeitig aber auch Überbestände, womit Abschreibungen auf Altware reduziert werden.

– Der intensive Austausch zwischen Herstellern und Händlern erleichtert die gemeinsame Weiterentwicklung von Produkten und die Planung von Warengruppen bis hin zur optimierten Gestaltung der Verkaufsflächen vor Ort.

Zum Vergleich: ein paar Zahlen und Methoden

Händler und Hersteller in Europa arbeiten bereits auf breiter Front zusammen (59 Prozent), erreichen aber noch nicht das amerikanische Niveau (95 Prozent). Die Verfügbarkeit kann im Schnitt um 6 Prozent für Händler und 3 Prozent für Hersteller gesteigert werden. Erfolgreiche Kooperationen bringen beträchtliches Umsatzwachstum, durchschnittlich 6 Prozent für Händler und Hersteller, und Kostenreduzierungen in der Supply Chain, im Schnitt 7 Prozent für Händler und 2 Prozent für Hersteller.

Kooperationen zwischen Herstellern und Händlern können verschiedene Formen annehmen: vom gemeinsamen Bestücken der Verkaufsfläche bis hin zu Depot-Systemen, bei denen der Händler nur noch seine Fläche vermietet. Die Bestückung und Warenwirtschaft wird in Eigenregie vom Hersteller übernommen; die Ware geht noch nicht einmal mehr in den Bestand des Händlers über.

Dass das in der Praxis nicht immer konfliktfrei ablaufen kann, ist klar. Welcher Einkäufer gibt schon gerne die Hoheit über seine Flächen her? Kein Wudner also, dass rund 40 Prozent aller Initiativen scheitern. Sie erreichen ihre Ziele nicht, weil es den Partnern an Bereitschaft, Beharrlichkeit oder Know-how mangelt – oder weil es Streit um  Datenaustausch und Gewinnaufteilung gibt.

Trotzdem: Händler, die mit ihren Lieferanten kooperieren, sind eher in der Lage, kurzfristig auf Trends und entwicklungen in der Mode einzugehen. Und Kunden, die aktuelle und für sie attraktive Ware gleich im Laden mitnehmen können, wandern nicht ins Netz ab.